10. Februar 2012

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Deine Mudder vermöbelt Chuck Norris zum Frühstück

Die mythische Verehrung geographischer Orte ist tief in den meisten Hochkulturen verankert. Vor allem Berge sind dabei besonders beliebt. Gelten sie in ihrer konkreten Bedeutung für den Menschen doch als Zeichen höherer Mächte, als Symbol, Personifikation oder Manifes-tation. Auch wir Deutschen haben unseren ganz besonderen, den Prenzlauer Berg. Pilger- und Lebensstätte einer emanzipierten Mütter Bohème und Sinnbild für die Wandlungsfähigkeit unserer Gesellschaft. 

Über keinen anderen Bezirk wurde in den vergangenen Jahren so viel geschrieben und gestritten wie über das Berliner Szeneviertel, welches wegen seines besonderen Kinder- reichtums im Volksmund „Preganant-Hill“ genannt wird. Unter den Teppich gekehrt wird allerdings oft, dass die meisten Kinder im Prenzlauer Berg Einzelkinder sind. Familien mit zwei, drei oder mehr Kindern leben in anderen Bezirken Berlins. Mehr Kinder gibt es hier also nicht wirklich. Nur andere Mütter. Und das macht es aus.


Männer auf dem Abstellgleis 



„Ich war nie verheiratet… das wichtigste im Leben ist mir meine Unabhängigkeit.“ Dieses Zitat stammt nicht etwa
von einem egozentrisch, Neun-Elfer fahrenden Mittvierziger oder aus der neuen Biografie von George Clooney, sonder ist das trotzige Postulat einer alleinerziehenden Mutter und stellvertretend für ein neues Selbstverständnis urbaner Frauen in Deutschland.

Im Jahr 2009 zählte das Statistische Bundesamt bereits über 1,4 Millionen alleinerziehende Mütter, also rund 20% der insgesamt 8,2 Millionen Mütter in Deutschland. Im Vergleich dazu waren es 1990 nur etwa 13%. Verdoppelt hat sich im gleichen Zeitraum sogar die Anzahl der in Deutschland außerehelich geborenen Kinder.

Männerwahl: Erfolgreiche Macherin, dreißig plus, sucht…

Entscheidend für diese Entwicklung sind gleich zwei Faktoren. Einerseits, steigen mit den eigenen Ansprüchen und dem erarbeiteten Sozialen Status der Frauen auch die Ansprüche an den Partner, denn nach wie vor heiraten Frauen im Vergleich zu ihrer Herkunft und Beruf bevorzugt in eine höhere soziale Schicht. Was dazu führt, dass in den höheren sozialen Schichten ein Überschuss an ledigen Frauen besteht. Mit anderen Worten, für immer mehr bestens ausgebildete Frauen findet sich immer weniger heiratsfähiges Männermaterial.

Andererseits, führt das gesteigerte Selbstbewusstsein und die zunehmende Toleranz in der Gesellschaft gegenüber unkonventionellen Familienformen dazu, dass immer mehr Frauen auch ohne passenden Gemahl ihren Kinderwunsch tatsächlich realisieren. 

In Großbritannien, wo ein Samenspender juristisch nicht als Vater gilt und der Gesetzgeber die Notwendigkeit eines Vaters bei der künstlichen Befruchtung kurzerhand gestrichen hat, entscheiden sich immer mehr Frauen für den familiären Alleingang. Was diesen Müttern den etwas chauvinistischen Beiname „Single Mother by Choice“ eingebracht hat. Rund 700 € kostet dort die künstliche Befruchtung: Bestellen, bezahlen und ab in die Klinik. So einfach kann Mutter werden heute sein.

Hausfrauen sterben aus wie Dinosaurier

Die weibliche Autonomie steigt
Das eindimensionale Bild der Mutter als Glucke und Hausfrau mit neurotischem Hang zum Perfektionismus, ist einfach nicht mehr Zeitgerecht. Die Frauen von heute ernten gewissermaßen die Früchte des emanzipatorischen Befreiungskampfes ihrer Vorgängergeneration. Zwar wächst die große Mehrheit der Kinder in Deutschland nach wie vor in einem traditionell geprägten Familienbild auf, allerdings steigt von Jahr zu Jahr die Zahl der Mütter die sich nicht mehr ausschließlich auf die Rolle als Mutter reduzieren lassen wollen und deshalb den ständigen Spagat zwischen Beruf und Familie üben. Gegen diese facettenreiche Lebenswirklichkeit der Mütter wirkt das archaische Rollenbild der Mutter als Hausfrau in der Werbung wie ein versteinertes Relikt aus der Urzeit. 

Frauen haben mehr denn je begriffen, dass sie die Muterrolle nur in einem bestimmten Zeitfenster ihrer Biografie intensiv spielen und sind daher sehr daran interessiert ihre individuelle Biografie auch während des Mutterseins weiter zu gestalten. Das neue Selbstverständnis der Mütter spiegelt sich auch in den Erziehungszielen. Tugenden der Elterngeneration wie, Pünktlichkeit, Sparsamkeit und Anpassungsfähigkeit werden kurzerhand durch individuelle Werte wie, Bildung, Toleranz und Wissensdurst ersetzt. 

Das perfekt organisierte Chaos

Mütter sind zufrieden, würden sich aber bei ihrem Alltag
mehr Unterstützungdurch staatliche Institution wünschen. 
Bei dem Versuch die neue Rollenvielfalt unter einen Hut zu bekommen, werden alte Ideale über Bord geworfen und müssen einem pragmatischeren Ansatz weichen. Dabei zeigt sich ein erfreulicher Trend hin zu mehr Souveränität und pragmatischen Lösungsansätzen. Ein Trend, der sich nicht zuletzt auch im steigenden Absatz von Multifunktionsprodukten für den Haushalt abzeichnet – effizient & einfach ist hier das Motto - und sich auch in einer zunehmenden Akzeptanz von Convenience-Food Angeboten widerspiegelt. 

Und trotzdem ist in den Medien immer wieder von wachsenden Selbstzweifeln unter Müttern und dem Gefühl, der Rolle nicht gerecht zu werden, zu lesen. Richtig ist, von Zeit zu Zeit stellt sich jede Mutter die Frage ob sie eine gute Mutter ist. Aber Tatsache ist auch, dass  95% der Mütter in Deutschland mit ihrem Familienleben generell „sehr“ oder „ziemlich zufrieden“ sind und auch das oft beschworene „schlechte Gewissen“ zu wenig Zeit mit den Kindern zu verbringen, trifft in Wahrheit überwiegend auf Männer zu. Diese Statistik gilt sogar für die wachsende Gruppe berufstätiger Mütter. Wer eben viel erreichen will, der akzeptiert eben auch das nicht immer alles perfekt sein muss, wichtig ist, dass sich alle wohl fühlen und der Familienbetrieb am laufen gehalten wird. Nicht zuletzt deshalb gleicht der Alltag vieler Mütter heute eher einem strukturierten Chaos der nur mit vielen Kompromissen erfolgreich zu bewältigen ist. 

Wer also bei Müttern heute auf offene Ohren stoßen will, der sollte Mütter nicht mit weiteren surreal anmutenden Idealbildern bombadieren, sondern Mut beweisen und ihre chaotische Lebenswirklichkeit aufgreifen, zumal Mütter diese ja auch durchaus zu bewältigen wissen. 

Mütter-Typologien des Kelkheimer Zukunftsinstitut

Wie auch immer. Die Lebenswirklichkeit und die Bedürfnisse der Mütter in Deutschland sind zu komplex und unterschiedlich, als dass man sie einfach in einer generellen Aussage über Mütter zusammenfassen könnte. Viel zu oft werden Frauen sobald sie ihr erstes Kind einfach in die "Mutter Schublade" gepackt. Deshalb ist es notwendig Mütter vor allem als das zu sehen was sie auch sind, nämlich in erster Linie Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Herausforderungen. Einen guten Anfang dazu hat das Kelkheimer Zukunftsinstitut im Rahmen der Fanta Mutter Trendstudie gemacht und neun unterschiedliche Mütter-Typologien identifiziert, die  vor allem für uns Planner in Zukunft als Basis dienen sollten, um besser auf die Bedürfnisse der Mütter einzugehen. 

8 Mütter-Fakten für ein Halleluja:

  1. Frauen in Deutschland bekommen ihr erstes Kind immer später. Im Durchschnitt werden sie erst mit 26 Jahren Mutter - drei Jahre später als noch in den 60er Jahren.
  2. 95% der Befragten Mütter sind mit ihrem Familienleben generell „sehr“ oder „ziemlich zufrieden.“
  3. Das digitale Kinderzimmer: 75% aller Frauen, mit Kindern unter zwei Jahren, haben bereits Bilder in Social Media Netzwerke hochgeladen. In Amerika liegt dieser Anteil sogar bei mehr als 90%.
  4. Das oft beschworene „schlechte Gewissen“ zu wenig Zeit mit den Kindern zu verbringen trifft nur auf Männer zu.
  5. Mütter sehen die Familie bei der Vermittlung von Werten und persönliche Entwicklung in der Pflicht. Die Bildungshoheit hingegen wird an die Schulen und Kindergärten delegiert.
  6. 42.000 Euro würden Mütter im Jahr  durchschnittlich verdienen, wenn man ihnen den üblichen Stundenlohn für Putzen und Kochen bezahlt. Denn das Arbeitspensum einer Vollzeit-Mutter liegt mit 70 Stunden noch deutlich über jenem eines Assistenzarztes.
  7. Nach wie vor ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie das größte Problem. Entsprechend groß ist nach wie vor das Bedürfnis nach mehr Unterstützung seitens des Staates und der Arbeitgeber.
  8. Einkaufen ist Routine: Neun von zehn Müttern kaufen immer die selben Marken. Mehr als die hälfte kauft die selben Marken wie ihre Mütter.